Die Suchtprävention ist ein zwischenzeitlich sehr wichtig gewordenes Thema in
unserer Gesellschaft, und ich möchte versuchen, Ihnen dieses Thema aus meinem
hausärztlichen Alltag heraus etwas näher zu bringen.
Bei Sucht denkt man wohl zunächst an Drogensüchte und Alkoholsüchtige. Aber
was hat das nun eigentlich mit uns persönlich zu tun? Bei uns, insbesondere in
unserer ländlichen Region, gibt es doch gar nicht so viel „Süchtige“, dass man
deswegen Informationsveranstaltungen zu diesem Thema machen müsste. Weit
gefehlt!
Die Suchtkrankheit ist nicht mehr nur das Problem von Städten bzw. das
Problem einer Minderheit, sondern sie ist überall verbreitet und kommt in allen
sozialen Schichten und fast allen gesellschaftlichen Bereichen vor.
Auch in unserer nächsten Umgebung werden wir bei genauerem Hinschauen
Menschen finden, die in irgendeiner Form von etwas abhängig sind. Denn Sucht
bedeutet eigentlich Abhängigkeit, wobei diese sowohl körperlich als auch
psychisch sein kann.
In der ärztlichen Praxis muss man sich fast täglich mit dem Thema Sucht
auseinandersetzen, hier allerdings weniger in Form von Drogen und Alkohol, auch
sind es meist keine Extremformen von Sucht, sondern vielmehr z. B. in Form von
Nikotinabhängigkeit, welche ein großes Problem darstellt, insbesondere z. B. im
Zusammenhang mit Lungenerkrankungen, Herzerkrankungen, Zuckerkrankheit usw. Aber
die größte Rollte spielt wohl der Medikamentenmissbrauch. Hier stehen an erster
Stelle die Schmerz- und Schlafmittel.
Der Medikamentenmissbrauch entsteht in der Regel schleichend. Den meisten
Menschen ist der Missbrauch eines Medikamentes in der Regel völlig unbewusst und
daher auch nicht beabsichtigt. Daher sollte die Verordnung eines Medikamentes in
die Hand des „Fachmannes“ gehören, um über mögliche Risiken und Nebenwirkungen
aufklären zu können und entscheiden zu können, welches die richtige Therapie für
den Einzelnen darstellt. Zu unterscheiden sind nämlich diejenigen Fälle, in
denen ein Medikament trotz entsprechender Risiken erforderlich ist, z. B. um
eine Operation noch hinausschieben zu können, von denjenigen Fällen, in denen
eigentlich nur Symptome bekämpft werden, ohne der eigentlichen Ursache auf den
Grund zu gehen.
Viele Medikamente (z. B. Schmerzmittel und Schlafmittel) sind nämlich frei
verkäuflich erhaltbar und scheinen somit primär eigentlich harmlos zu sein. Hier
entsteht der Eindruck, dass frei verkäufliche Medikamente ohne größere
Nebenwirkungen sind. Sie werden daher vonseiten des Patienten zunächst ziemlich
unbedenklich eingenommen. Mit nachlassender Wirkung des Medikamentes wird dieses
in der Dosierung schließlich immer weiter gesteigert, um die gleiche Wirkung zu
erzielen, bis aber auch diese Dosis nicht mehr ausreicht, die Beschwerden
ausreichend zu lindern, was erst dann den Gang zum Arzt nach sich zieht mit der
Intention, sich stärkere Medikamente verordnen zu lassen.
Hier kommt dem Arzt als Vertrauensperson und Berater eine wichtige Funktion
zu. Oft erwähnen die Patienten die Einnahme nicht rezeptpflichtiger Medikamente
beim Arztbesuch gar nicht, da sie in der Annahme sind, diese Präparate seien
ohne Belang. Nun ist der Hausarzt gefordert. Er kennt seine Patienten meist
recht gut, sodass er eigentlich die Situation erkennen sollte und den Patienten
konkret darauf ansprechen sollte. Oft hat der Patient keinen anderen Menschen,
dem er sich anvertrauen kann, oder will, entweder weil kein Anderer da ist oder
weil man Angst davor hat, sich irgendjemand anzuvertrauen. Der Arzt bzw.
Hausarzt hingegen ist eine vertraute Person, die in der Regel auch das familiäre
Umfeld kennt, die Problematik neutral beurteilen kann und zudem natürlich unter
Schweigepflicht steht. Dem Arzt kommt auch die Aufgabe zu, den Patienten
aufzuklären und den richtigen therapeutischen Weg zu bahnen. Umso länger ein
Missbrauch bereits besteht, umso größer ist die Gefahr einer
Suchtentwicklung.
Häufig handelt es sich bei den Betroffenen um Personen, die sehr empfindsam
und verschlossen sind und daher versuchen, ihre Probleme alleine zu lösen. Oft
sind es auch Probleme, die man gerne beiseite schieben möchte, da zumindest nach
Ansicht des Betroffenen keine klärenden Lösungen in Sicht sind. Für Süchte
empfängliche Menschen sind oft sehr unsicher und legen einen gewissen
Perfektionismus zu Tage.
Oft sind es Mütter, die mit Beruf, Haushalt und Kindern überfordert sind,
sich dies sich selbst gegenüber und insbesondere aber auch anderen gegenüber
nicht eingestehen können. Es muss doch alles perfekt funktionieren. Hier kommt
auch die Angst vor Versagen mit ins Spiel. Zu Beginn ist es „nur etwas Stress“,
im weiteren Verlauf entstehen dann Kopfschmerzen und Verspannungen, man fühlt
sich ausgepowert, wie ausgelaugt, schließlich ist man den alltäglichen
Anforderungen nicht mehr gewachsen. Es folgen Schlafstörungen, gefolgt von
Tagesmüdigkeit, vermehrter Reizbarkeit und Unausgeglichenheit, was spätestens
dann den Beginn des Medikamentenmissbrauchs nach sich zieht, wenn das Problem
nicht rechtzeitig erkannt und beseitigt wird. Hier besteht meist kein
ausreichendes Wissen über die vorhandenen Möglichkeiten einer anders gearteten
Lösung des Problems.
Aber auch andere, junge Menschen, also Jugendliche und bereits auch Kinder,
sind in der heutigen Zeit oft überfordert: Prüfungsängste, zu hohe Anforderungen
an den Einzelnen, Angst davor, keinen Arbeitsplatz zu bekommen, Konkurrenzdenken
führen bei labilen Personen oft in die Abhängigkeit, ob dies Drogen, Alkohol
oder Medikamente sind. Auch spielt bei jüngeren Menschen der Gruppenzwang eine
Rolle. Man denke hier an Rauchen und Alkohol, z. B. in Form von Alcopops,
derzeit ja in aller Munde. Hier ist das soziale Milieu von großer Bedeutung,
Personen mit intaktem Umfeld sind deutlich weniger suchtgefährdet.
Auch ältere Menschen, die z. B. an Vereinsamung leiden oder den langjährigen
Partner verloren haben, leiden oft an Depressionen, meist ohne dies selbst zu
erkennen. Sie leiden daher an verschiedenen Symptomen, die sie meist erfolglos
mit Medikamenten zu behandeln versuchen.
In all diesen Fällen ist der Arzt als Vertrauensperson und Berater gefordert.
Dies erfordert viel Feingefühl, ein Stück weit persönliches Engagement und
insbesondere Zeit, um der ursächlichen Problematik auf den Grund zu kommen. Denn
meist kommen die Patienten nicht direkt mit ihren Problemen in die Sprechstunde,
sondern mit allgemeinen Symptomen wie Kopfschmerzen, Verspannungen und
Schlafstörungen. Hilfe wird meist nie konkret für ein Problem gefordert, sondern
der Betroffene hat oft die Erwartungshaltung, dass sein Problem vom Arzt erkannt
und angesprochen wird.
Auch der Alkoholabhängige kommt nicht in die Praxis mit dem Wunsch, seine
Krankheit zu behandeln, sondern erst dann, wenn es im Rahmen häuslicher
Auseinandersetzungen zu familiären Konfliktsituationen gekommen ist oder wenn z.
B. der Führerschein auf Grund verstärkten Alkoholgenusses entzogen wurde und bei
den nachfolgend erforderlichen Blutuntersuchungen dann bereits eine
Leberschädigung festgestellt wird.
Hier könnten noch viele Beispiele, wie Essstörungen bei jungen Mädchen, die
ihren Schönheitsidealen in den Zeitschriften nachstreben, die Spielsucht etc.
angebracht werden.
All diesen Beispielen zu Grunde liegen Probleme, die von der Einzelperson
nicht mehr bewältigt werden können und die der Mithilfe anderer bedürfen. Hier
kommt uns als Hausärzten eine wichtige Funktion zu, aber mindestens genauso
wichtig ist das soziale Umfeld. Hier sollte eine gute Zusammenarbeit in beiden
Bereichen bestehen. Es bedarf großer Aufmerksamkeit, eine bereits bestehende
Suchterkrankung oder Suchtgefährdung zu erkennen. Hierzu gehört allgemeine
Aufklärung über Symptome, Verlauf etc., sodass eine mögliche Suchtentwicklung
möglichst frühzeitig abgefangen werden kann.
Allen beschriebenen Beispielen gemeinsam ist es, dass hier bereits ein
Prozess der Suchtentwicklung eingetreten ist oder bereits eine Sucht besteht.
Daher ist es am allerwichtigsten, das Problem von Grund auf anzugehen, also
Prävention zu betreiben, was bedeutet, bereits einer möglichen Suchtentwicklung
vorzubeugen, Symptome zu erkennen, wahrzunehmen und die betroffenen Personen
auch darauf anzusprechen, was meines Erachtens viel zu wenig getan wird. Nur zu
oft erlebt man es, dass der Betroffene nicht auf seine Suchtneigung angesprochen
wird, sei es aus Angst davor, jemanden unschuldig zu verdächtigen oder etwa
dadurch einen Streit heraufzubeschwören. Meist ist dem Betroffenen seine Sucht
ja gar nicht bewusst oder sie wird einfach verdrängt. Nur gemeinsam kann man
einer Suchtgefährdung wirksam vorbeugen.
Am wichtigsten ist aber die Primärprävention, das bedeutet, so früh wie
möglich vorzubeugen, um Sucht überhaupt erst gar nicht entstehen zu lassen. Mit
anderen Worten also Suchtvorbeugung bereits im Kindesalter. Hierfür braucht es
ein stabiles Elternhaus, ein gefestigtes soziales Umfeld. Auch sollten sowohl
Eltern, Erzieher, Lehrer etc., wie auch der Arzt Vorbilder für die Kinder und
Jugendlichen sein.
Vereine z. B. stellen eine sehr sinnvolle Institution dar, um z. B.
Freundschaften und ein Miteinander zu fördern und aufgekommene Frustrationen und
Aggressionen abzubauen. Wichtig sind ebenfalls Informationsveranstaltungen wie
diese sowie ein Zusammenspiel und Austausch zwischen den einzelnen
Institutionen.
Hiermit bin ich am Ende meines Vortrages angekommen und möchte mich recht
herzlich für Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Interesse bedanken.
Mein persönlicher Wunsch wäre es, die Menschen in einer Gemeinde verstärkt
aufzuklären, vermehrt für die Suchtproblematik zu sensibilisieren und
insbesondere das Zusammenspiel zwischen den einzelnen Parteien (Eltern, Vereine,
Arzt etc.) zu fördern, denn nur wenn das Miteinander funktioniert kann der Sucht
nachhaltig vorgebeugt werden.